Fahrangst ist in Deutschland eine der am weitesten verbreiteten Phobien. Woher sie kommt und was wirklich dagegen hilft.
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17.7.23
Fahrangst ist in Deutschland eine der am weitesten verbreiteten Phobien. Betroffene kann die Angst vor dem Autofahren im Alltag stark einschränken. Wir klären über das Thema auf und geben Tipps, mit denen Sie Ihre Angst vorm Autofahren überwinden können.
“Ich kriege einen hohen Puls und fange an zu schwitzen, wenn ich mich hinters Steuer setze. Und wenn etwas nicht klappt, würde ich am liebsten direkt wieder aus dem Auto aussteigen.” So beschreibt Pauline die Symptome, die Sie in Verbindung mit Autofahren empfindet. Vielen Menschen geht es ähnlich. Angst vorm Autofahren ist in Deutschland weit verbreitet. Noch gibt es keine Studien, die Aufschluss auf genaue Zahlen geben. Schätzungen zufolge sind jedoch mehrere Millionen Menschen in Deutschland von Fahrangst in unterschiedlichen Ausprägungen betroffen.
Wir möchten in diesem Artikel über Angst vorm Autofahren aufklären und Möglichkeiten aufzeigen, sie zu überwinden. Dazu haben wir mit Pauline und Laura gesprochen, die uns von ihren Erfahrungen mit Fahrangst erzählt haben. Außerdem haben wir ein Interview mit dem Fahrlehrer und Diplomsoziologen Frank Müller geführt. Er ist Gründer der “Angsthasenfahrschule” in Berlin, in der er spezielle Trainings für Menschen mit Fahrangst anbietet.
Angst vorm Autofahren, im Fachjargon als Amaxophobie bezeichnet, beschreibt einen Angstzustand während des Autofahrens, der bei Betroffenen körperliche Symptome auslöst. In schweren Fällen kann sie unter anderem zu Panikattacken führen. Angst vorm Autofahren kann sowohl Fahrneulinge als auch geübte Fahrer*innen betreffen.
Die Angst tritt bei Betroffenen in unterschiedlichen Situationen auf. Laut Frank Müller leidet etwas mehr als die Hälfte der Menschen, mit denen er arbeitet, an Angst im Großstadtverkehr. Auch Laura und Pauline erzählen beide, dass sie sich vor allem beim Autofahren in Berlin unwohl fühlen. Ein weiteres, häufig auftretendes Problem ist laut Müller die Angst vor dem Fahren auf der Autobahn.
Das Vermeidungsverhalten kann starke Einschränkungen im Alltag nach sich ziehen.
Auch Pauline erzählt uns, dass sie gern häufiger fahren würde. Aufgrund der Anspannung, die sie beim Fahren empfindet, nutzt sie das Auto aktuell allerdings nur ein- bis zweimal im Monat. Laura berichtet, dass Kolleg*innen sie im Arbeitsalltag häufig zu Terminen fahren müssen. Sie selbst traut sich das Autofahren aufgrund ihrer Angst nicht mehr zu. Seit drei Jahren ist sie nicht mehr Auto gefahren.
Häufig entsteht bei Betroffenen von Fahrangst ein Teufelskreis. Sie fürchten sich vor der Angstsymptomen, die sie während des Fahrens empfinden. In der Folge steigt die Hemmschwelle, wieder Auto zu fahren. Laut Frank Müller kann auch das Umfeld der Betroffenen Angstzustände verschlimmern: “Die Betroffenen werden von Ihrem sozialen Umfeld leider oft nicht verstanden, mit Ungeduld behandelt. Da heißt es dann schon mal: ‘Setz Dich doch einfach ins Auto, bleib locker und gib Gas. Du wirst sehen, dann verschwindet Deine Angst!’ Nach solchen Bemerkungen ziehen sich die Betroffenen oft völlig zurück, verheimlichen ihr Leiden.”
Der erste und wichtigste Schritt für Menschen mit Angst vor dem Autofahren ist, sich selbst der Angst bewusst zu werden. Nur wer sich das Problem eingesteht und es akzeptiert, kann aktiv dagegen angehen.
Die Ursachen für die Angst vor dem Autofahren sind vielfältig. Sie lassen sich jedoch in zwei Kategorien einteilen: spezifische Fahrangst und unspezifische Fahrangst.
Spezifische Angst beim Autofahren bezeichnet Ängste, die in direktem Zusammenhang mit dem Auto oder dem Prozess des Fahrens stehen. Betroffene haben häufig das Gefühl, das Auto in bestimmten Fahrsituationen nicht kontrollieren zu können. Sie fürchten daher, durch eigene Fehler einen Unfall zu verursachen. Ursache für diese Art der Fahrangst kann beispielsweise mangelnde Fahrpraxis sein.
Die Ursachen für unspezifische Fahrangst liegen nicht beim Autofahren selbst. Es handelt sich hierbei um allgemeine Ängste, die auch in anderen Lebenssituationen auftreten können. Durch bestimmte Faktoren werden sie jedoch häufig während des Autofahrens ausgelöst oder durch das Autofahren verstärkt. Die folgenden Ängste zählen zu den unspezifischen Fahrängsten:
Soziale Angst
Menschen mit sozialer Angst fürchten sich vor sozial belastenden Situationen im Straßenverkehr. Dazu gehören beispielsweise die Kritik anderer Autofahrender oder der mitfahrenden Personen. Betroffene empfinden beispielsweise Hupen meist als persönliche Kritik, die sie sich dementsprechend zu Herzen nehmen. Laura erzählt uns von einer solchen Situation, die sie beim Stehen an einer Ampel erlebt hat: ”Ich habe bis heute auch keine Ahnung, was ich falsch gemacht habe, aber ich stand auf der mittleren Spur, und einige Autofahrer*innen wollten mich gestikulierend auf etwas hinweisen. Ich habe aber gar nicht verstanden, was sie mir mitteilen wollten und das hat mich ziemlich verwirrt und verunsichert. Und das, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt noch eine sehr sichere Fahrerin war! Ich habe mich total unwohl gefühlt und einfach nur gehofft, dass es bald grün wird und ich einfach aus dieser Situation entfliehen kann”.
Menschen mit sozialer Fahrangst fühlen sich im Straßenverkehr häufig unsicher. Viele leiden zudem selbst nach kleinsten Fehlern unter starken Schuldgefühlen. Autofahren ist für Betroffene häufig mit Stress und traumatischen Situationen verbunden. Daher vermeiden viele von ihnen das Fahren.
Agoraphobie/Platzangst
Ein Symptom von Agoraphobie ist die Angst vor Situationen, aus denen es kein einfaches Entkommen gibt. Meist haben Betroffene Angst, während des Autofahrens eine Panikattacke zu erleiden und nicht rechtzeitig aus der Situation fliehen zu können. Laut Frank Müller führt dies zu einem “Teufelskreis der Angst. Sie [die Betroffenen] lauern ängstlich auf weitere Panikanzeichen wie Herzschlag oder heftiges Atmen, die sich dann auch prompt einstellen.” Bei den Menschen, die er trainiert, tritt diese Angst häufig während der Fahrt auf der Autobahn auf. Grund sei die Bauart der Autobahn. “Ausgerechnet jetzt dürfen die Betroffenen nicht anhalten, sich nicht erholen, denn sie fahren ja auf einer Straße, der Autobahn, die fürs Schnellfahren gedacht ist.”
Die Gründe für die eigentlichen Panikattacken haben häufig mit dem Fahren selbst wenig zu tun. Auch Stress im Alltag kann beispielsweise zu den Symptomen führen, die eine Panikattacke auslösen.
Posttraumatische Belastungsstörung
Im Anschluss an einen Unfall leiden viele Betroffene noch lange an mentalen Folgen. Sie erinnern sich an das Unfallgeschehen und fürchten, erneut in einen Unfall zu geraten. Häufig geht eine posttraumatische Belastungsstörung auch mit Schuldgefühlen einher. Beim Autofahren kann dies zu Angstzuständen in Situationen führen, die die betroffene Person mit dem Unfall assoziiert.
Die genauen Ursachen für eine Fahrangst sind individuell verschieden. Möglich ist auch, dass sich die Fahrangst bei vielen Betroffenen aus verschiedenen spezifischen oder unspezifischen Ängsten entsteht. Die Einordnung in diese Kategorien kann jedoch dabei helfen, die Ursachen für die eigene Angst vorm Autofahren besser zu verstehen.
Die Angst erkennen und sich selbst eingestehen
Der erste und wichtigste Schritt für Menschen mit Angst vor dem Autofahren ist, sich selbst der Angst bewusst zu werden. Nur wer sich das Problem eingesteht und es akzeptiert, kann aktiv dagegen angehen.
Gegensteuern, wenn die Angst aufkommt
“Bewusst ruhig atmen, laut sprechen, nicht weiter fahren, Handbremse ziehen, Motor aus, Pause machen und kurze Erholung suchen”. Diese Maßnahmen empfiehlt Angsthasen-Fahrlehrer Frank Müller bei einem Blackout oder einer sich anbahnenden Panikattacke während des Autofahrens. Durch diese Unterbrechung können sich Betroffene zunächst beruhigen und die Situation und das Geschehene in Ruhe analysieren. Anschließend können sie das Fahren mit einem klaren Kopf wieder fortsetzen. Müller fordert, dass solche Maßnahmen bereits in der Fahrausbildung geübt werden sollten, “denn es erfordert Mut, die Schwäche zuzugeben.”
Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen
Für alle, die ihre Angst beim Autofahren nicht allein bewältigen können, gibt es professionelle Fahrtrainings wie sie Frank Müller in seiner “Angsthasenfahrschule” anbietet. Bei ihm durchlaufen die Betroffenen drei Stufen. Die erste Stufe besteht aus persönlichen Gesprächen und speziellen “Angsthasentreffen”, in denen Betroffene sich über ihre Erfahrungen austauschen können. In der zweiten Betreuungsphase fährt Müller mit den Betroffenen in einem Fahrschulwagen. Hier kann der Fahrlehrer in Angstsituationen noch eingreifen. In der dritten Stufe sollen die Betroffenen dann das Fahren im eigenen oder Fremd-Pkw wieder lernen. Müller kann hier nur noch beraten, das Fahren müssen die “Angsthasen” komplett eigenständig übernehmen. Das mehrstufige Programm soll Menschen mit Fahrangst schrittweise wieder an das Fahren heranführen.
In Deutschland gibt es mittlerweile zahlreiche Fahrlehrer*innen, die sich wie Frank Müller auf die Arbeit mit ängstlichen Fahrenden spezialisiert haben. Auch spezielle Therapien für die Angst vorm Autofahren werden bereits angeboten. Besonders bei einer tief sitzenden Angststörung, die zum Beispiel auch mit Panikattacken einhergeht, empfiehlt sich eine Therapie.
Bei einer spezifischen Fahrangst, die allein mit dem Autofahren selbst zu tun hat, kann außerdem der Besuch eines Fahrsicherheitstrainings helfen. In diesen wird in einer sicheren Umgebung geübt, das Auto im Grenzbereich zu bewegen. Bei Betroffenen kann dies die Angst vor bestimmten Situationen lindern, da sie gelernt haben, wie sie am besten reagieren. Diese Sicherheit kann gegen Angst vorm Autofahren helfen.
Lernen, mit der Angst umzugehen
Frank Müller gibt selbst an, dass das Ziel seiner Kurse nicht ist, im Anschluss völlig angstfrei zu fahren. “Das Ziel ist vielmehr, mit der Angst besser umzugehen, sodass sie auch nicht mehr Angst macht.” Er vermittelt den Fahrschüler*innen, dass Angst sogar nützlich sein kann, da sie vor gefährlichen Situationen warnt.
Oft fährt er außerdem mit den Betroffenen in einem sicheren, bekannten Umfeld oder auf Strecken, die sie gut kennen. So werden schnell erste Erfahrungen mit angstfreiem Fahren gesammelt. Positive Erinnerungen an angstfreies Fahren seien wichtig, um sich nicht in Grübeleien über bereits Geschehenes zu verlieren. Betroffene sollten sich eher an angstfreie Fahrten erinnern statt an vergangene Fehler.
Welche Maßnahmen gegen Fahrangst im Einzelfall helfen, hängt auch von Art und Schwere der Fahrangst ab. Bei leichter Fahrangst kann es unter Umständen helfen, ein wenig Fahrpraxis zu sammeln und das Fahren in bestimmten Fahrsituationen zu üben. Bei wiederholter, sicherer Fahrt kann so die Angst vorm Autofahren verringert werden. Vor allem Betroffene, bei denen die Angst nicht nach einiger Zeit nachlässt, können jedoch von professioneller Hilfe profitieren. Bei unspezifischen Fahrängsten, deren Wurzel nicht im Autofahren selbst liegt, empfiehlt sich zusätzlich eine Therapie.
“Angsthasenfahrlehrer” Frank Müller fordert außerdem eine Reform der Ausbildung für Fahrlerer*innen. Durch spezielle Trainings zum Umgang mit Fahrangst bei Fahrschüler*innen könnten so schon in der Ausbildung Maßnahmen ergriffen werden, um die Angst vorm Autofahren zu bekämpfen.
Mehr Informationen über die “Angsthasenfahrschule” von Frank Müller finden Sie unter www.auto-angst.de.