Ein Auto aus Müll? Das Ecomotive-Team der TU Eindhoven zeigt, wie Automobil Recycling in Zukunft funktionieren und innovativ gestaltet werden kann.
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14.9.23
Wenn man an Fahrzeugrecycling denkt, dann ist der Gedanke eines Schrottplatzes meist nicht weit entfernt – hunderte von Autos, die sich zerbeult und verrostet übereinanderstapeln und nur darauf warten, zum Opfer der Schrottpresse zu werden.
Zugegebenermaßen ist diese Darstellung des Recyclingprozesses etwas überspitzt. In Anbetracht des viel größeren Potenzials, das das Recycling von Autos zukünftig bieten könnte, von überaus großer Relevanz.
In diesem Beitrag möchten wir deshalb die Möglichkeiten diskutieren, welche Rolle das Recycling in Zukunft in der Automobilbranche einnehmen wird und welcher Vorreiter die Automobilbranche dessen belehrt hat.
Schon lange streiten Kritiker und Branchenexperten über die Klimabilanz von Autos. Objektiv ist diese Diskussion allerdings nur, wenn dabei der ganze Lebenszyklus eines Fahrzeugs betrachtet wird – vom Design über die Produktion bis hin zur Nutzung und Entsorgung. Allein die Beurteilung der Abgase, worauf sich oft vorrangig gestützt wird, reicht also nicht aus.
Deutlich wird: Bei 50 Millionen allein in Deutschland zugelassenen Autos müssen die Hersteller sich ihrer Verantwortung bei der Produktentwicklung bewusst sein. Langfristig sind dabei vor allem Fragen nach der Recyclingfähigkeit und der Umweltverträglichkeit der Materialien zentrale Brennpunkte. Werden für diese beiden Aspekte nachhaltige Lösungen gefunden, können auch Industrieprodukte wie Autos besser in Sachen Klimabilanz abschneiden und den Stempel als Umweltsünder einbüßen. Dabei gibt es verschiedene Überlegungen, wie dies erreicht werden kann – zwei davon stellen wir in diesem Beitrag vor.
Richtig gehört! Luca, das Konzeptauto des Ecomotive-Teams der TU Eindhoven, besteht zu 100% aus recyceltem Material. Was andere für nutzlosen Müll halten würden, ist Grundlage des Fahrzeugbaus im Rahmen der Studie zu Möglichkeiten des Einsatzes von recyceltem Material in der Automobilbranche. Team-Managerin Lisa van Etten fasst die Mission zusammen: “Wir wollten einen Blick auf die Probleme von heute werfen. Eines der großen Probleme ist die Menge an Abfall, die jährlich anfällt.” Damit haben die Studenten nicht Unrecht, denn laut dem Statistischen Bundesamt betrifft dies allein in Deutschland jährlich 483 Kilogramm Haushaltsmüll pro Kopf. Bei einem durchschnittlichen Gewicht eines Autos von 1.400 Kilogramm, wäre das schon etwa ein Drittel des Fahrzeuggewichts. Wie setzt das Forschungsteam also konkret die recycelten Materialien ein?
Sowohl die Karosserie als auch das Interieur von Luca werden aus drei Komponenten hergestellt:
Was auf den ersten Blick simpel in der Zusammensetzung erscheint, ist in Wahrheit eine hochkomplexe und innovative Verfahrensweise im Fahrzeugbau, der immer mehr auf die geforderte Nachhaltigkeit in der Automobilbranche ausgerichtet wird. Dafür brauchte es etwa anderthalb Jahre, bis das Recyclingauto 2020 von den 22 Teammitgliedern präsentiert wurde. Das Forschungsteam Ecomotive der TU Eindhoven ist ohnehin für spektakuläre Entwicklungen im Automobilbereich bekannt. 2019 wurde Noah, ein auf Plastikabfällen basierendes, 3D-gedrucktes Elektroauto vorgestellt; 2022 folgte mit Zem ein E-Auto, welches CO2 selbst aus der Umgebung filtern kann.
Der Zweisitzer Luca kommt auf gerade einmal 420 Kilogramm Leergewicht, wovon bereits 60 Kilogramm dem Akku zuzurechnen sind. Der Grund für das vergleichsweise geringe Gewicht liegt in der Leichtbauweise, bei der verschiedene Materialien kombiniert werden:
Die Wanne des Recycling-E-Autos wurde beispielsweise in Sandwich-Bauweise gefertigt und beinhaltet neben der Pflanzenfaser Flachs auch recyceltes PET und Polypropylen. Dadurch ergibt sich ein robuster Verbundwerkstoff, welcher sich für den Einsatz beim Bau des Konzeptfahrzeugs besonders eignet.
Die Karosserie wiederum besteht aus einem harten ABS-Kunststoff, welcher auch bei Spielzeugen und Elektrogeräten eingesetzt wird, da er für eine lange Haltbarkeit bekannt ist. Gewonnen wird dieser im speziellen Fall des Luca-Autos von einer israelischen Firma, die dafür Haushaltsmüll umwandelt und darin enthaltene Bestandteile in eben diesen Kunststoff übersetzt.
Auch für die Außenfarbe haben die Studenten ein außergewöhnliches Material gewählt – Folie. Diese kann beim Recycling rückstandslos entfernt oder gegen eine Neue ersetzt werden. Außerdem vermeiden sie damit chemische Lösungsmittel, die oftmals in herkömmlichem Lack enthalten sind.
Um das Gewicht des nachhaltigen Zweisitzers noch weiter zu reduzieren, setzt das Team der niederländischen Universität zudem auf korrosionsbeständiges Aluminium im Front- und Heckrahmen für die Radaufhängung und Batterien.
Diese bestehen aus sechs Modulen, die einzeln oder als System austauschbar sind, um das Auto möglichst langfristig energieeffizient und gleichzeitig leistungsstark nutzen zu können. Mit dem Energiespeicher des E-Autos kann somit eine Reichweite von bis zu 220 Kilometern erreicht werden. 92% der Antriebsenergie der Batterie sollen dabei am Rad ankommen – ein vergleichsweise sehr guter Wert. Eingesetzt werden dafür zwei sogenannte Radnabenmotoren, deren Name daher stammt, dass der Motor mit der Radnabe verbunden ist und das Drehmoment des Motors so direkt auf das Rad übertragen wird. Die Höchstgeschwindigkeit, die damit erreicht werden kann, liegt bei 90 km/h.
Auch beim Interieur hat das Thema Recyclingfähigkeit oberste Priorität für das Forschungsteam aus Eindhoven. Sitzpolster werden daher aus einer Zusammensetzung von Pferdehaar und Fasern der Kokosnussschale angefertigt. Das Innendesign ist ansonsten sehr minimalistisch gehalten, um keine Materialien zu verschwenden.
Ein Statement in Sachen Nachhaltigkeit setzen die Teammitglieder auch, wenn es um die technische Ausstattung von Luca geht. Um zusätzlich herzustellende Displays zu vermeiden, kommt stattdessen das Smartphone zum Einsatz. Unser täglicher Begleiter wird so zum zentralen Bedienelement. Um Fahrinformation wie beispielsweise die aktuelle Geschwindigkeit anzuzeigen, wird auf die Folie der Frontscheibe ein Head-up-Display projiziert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dem Ecomotive-Team der TU Eindhoven wieder einmal eine absolute Innovation gelungen ist. Auch wenn Luca bisher nur als Einzelstück verfügbar ist und aufgrund fehlender Sicherheitsinformationen aktuell noch keine Straßenzulassung erhält, setzen sie ein dringend benötigtes Statement: Eine nachhaltige Automobilbranche braucht einen Wiederverwertungskreislauf. Dabei kann vermeintlicher Abfall zum wertvollen Material werden, das weise im Produktdesign eingesetzt, zu mehr Nachhaltigkeit in der Automobilbranche beitragen kann. Besonders im Bereich der E-Auto-Produktion wird oft kritisiert, dass deren Zweck unter anderem die Senkung der CO2-Emissionen bedeutet, aber deren Produktion eine Menge umweltschädlicher Klimagase verursacht. Mit den Prinzipien des Luca-Autos kann dies abgewendet werden.
Eines steht fest – das Recycling von Fahrzeugen ist bislang nicht annähernd so nachhaltig ausgerichtet, wie es beim Luca-Auto der Fall ist. Die eingangs erwähnte Schrottpresse kommt noch allzu oft zum Einsatz.
Das Problem: Rechnet man die Nachfrage nach recycelten Materialien aus Fahrzeugen hoch, wird schnell deutlich, dass die bisherigen Rohstoffe dafür nicht ausreichen. Grund dafür ist, dass oftmals Legierungen und Fremdstoffe an den verschiedensten Teilen verwendet werden, die für die Umwelt potenziell schädlich sein könnten und nur schwer zu extrahieren sind.
Nichtsdestotrotz gibt die Politik die Verantwortung an die Hersteller weiter, die Recyclingfähigkeit oder die Entsorgung der Materialien beim Design zu bedenken. In Deutschland schreiben beispielsweise die EG-Altfahrzeug-Richtlinie und die Altfahrzeug-Verordnung seit 2015 vor, dass ausgehend vom Leergewicht eines Fahrzeugs 95% dessen wiederverwendet oder verwertet werden sollen. Diese Ziffer ist zudem in der EU-Verwertungsquote festgesetzt, welche unter anderem eine stoffliche Verwertung der Materialien zur Erzeugung neuer Stoffe vorsieht.
Rückblickend stellt man fest, dass man in Deutschland 2020 dieses Ziel nur leicht verfehlte – bei 50 Millionen gemeldeten Autos wurden 94% größtenteils stofflich recycelt. 2,2 Millionen Fahrzeuge wurden erst einmal als Gebrauchtwagen im Kreislauf beibehalten, bis sie durchschnittlich ein Alter von 17-18 Jahren erreichen und an diesem Punkt in den Recyclingprozess einfließen. Auf die Vorgaben reagieren verschiedene Hersteller. So verspricht VW beispielsweise, dass 95% eines Volkswagens recycelt werden können und sie schon bei der Produktion auf den Einsatz von Rezyklaten, also aus dem Recycling gewonnen Stoffen, achten – so zum Beispiel beim Golf 8 oder dem ID.4.
Schauen wir uns doch einmal an, was neben jeder Menge Fahrspaß und Leistung alles in einem Auto steckt. Dabei sprechen wir von über 10.000 Einzelteilen, die zu 60% aus Stahl, 9% aus Aluminium und 1% aus Gusseisen bestehen.
Der Grund, warum Stahl einen Großteil des Fahrzeugaufbaus bestimmt, liegt in dessen Festigkeit. Das Material kann einerseits durch verschiedene Prozesse (z.B. starkem Erhitzen) flexibel in Form gebracht werden und ist damit in vielen Bereichen einsetzbar. Andererseits ist es in zweifacher Hinsicht ein sehr langlebiges Material, denn auf der einen Seite ist es sehr robust gegen äußere Einwirkungen, egal ob Umwelteinflüsse oder Unfälle, und auf der anderen Seite kann der Stahlschrott eingeschmolzen und danach verlustfrei wieder aufbereitet werden. Trotz dieser Langlebigkeit besitzt Stahl eine nachteilige Eigenschaft – das Gewicht. Mit einer Dichte von 8000 Kilogramm pro Kubikmeter zählt es zu den Schwermetallen. Hersteller, die ihr Produktdesign langfristig nachhaltiger gestalten wollen, sollten daher den Stahlanteil durch Leichtmetalle ganz oder teilweise substituieren, um das Fahrzeuggewicht zu reduzieren. Laut einer Studie kann dabei pro 100 Kilogramm weniger Leergewicht ein halber Liter an Kraftstoff und damit auch eine Menge CO2 auf 100 Kilometer Strecke eingespart werden.
Obwohl es anfälliger für Umwelteinwirkungen im Vergleich zu Stahl ist, wird Aluminium als Leichtmetall bereits seit langer Zeit eingesetzt, da es eine Dichte von nur 2750 Kilogramm auf einen Kubikmeter besitzt. In einem Pkw sind etwa 150 Kilogramm dieses Metalls verbaut. Beim Recycling durch Einschmelzen werden allerdings hochgiftige Stoffe freigesetzt. Dies liegt im Lösen der Legierungen begründet. Das Österreichische Gießerei-Institut (ÖGI) hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, eine Datenbank zu erstellen, welche die dabei entstehenden schädlichen Abfallprodukte listet, um diese in zukünftigen Legierungen zu vermeiden. Zudem werden zunehmend auch andere Produkte aus Aluminium wie beispielsweise Coladosen für die Karosserieherstellung eingesetzt, um sich nicht allein auf Bestandteile der Fahrzeugproduktion zu berufen.
Neben den metallischen Komponenten finden sich in einem Fahrzeug außerdem Glas, Kunststoff, Elektronik und nichtmetallische Komponenten wieder, welche nur unweit schwerer zu recyceln sind.
Das gewohnte Vielstoffsystem eines Autos sollte auch in Zukunft beibehalten werden – mit einem überaus wichtigen Hinweis. Es gilt in erster Linie, zwei Verbesserungen zu fokussieren.
Gelingt dies, wird die Nachhaltigkeit in der Automobilbranche notwendigerweise weiter vorangetrieben. Die Branche kann so exemplarisch demonstrieren, wie hochkomplexe Industrieprodukte wie Autos, langfristig aber auch andere Fahrzeuge, nachhaltig im Recycling der Zukunft platziert werden können.
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